Pressestimmen
19. Februar 2025
Die Philharmoniker bereisen mit Riccardo Muti alte und neue Welten
Bei seiner 4. Soirée erprobte das Orchester unter Mutis Leitung das zweite der drei Programme für das gemeinsame Gastspiel in New York: Mozart und Dvořák, ernst und groß. Schuberts „Tragische“ und Bruckners Siebte sind bereits vorbereitet, die erklingen zudem nächsten Dienstag, bei einem Abstecher nach Mailand ans Teatro alla Scala.
Davor, am kommenden Wochenende, dirigiert Riccardo Muti im regulären Abokonzert-Termin im Goldenen Saal auch noch Schuberts „Große“ in C-Dur und Strawinskys „Kuss der Fee“-Suite, ergänzt um eine italienische Rarität: „Contemplazione“ von Alfredo Catalani, dem Komponisten der „Wally“. Und von Mailand aus geht es dann nach New York, für drei Konzerte in der Carnegie Hall ab 28. Februar. Ein in jeder Hinsicht eng getaktetes, anspruchsvolles Programm – und ein bisschen war das auch an kleinen Unsauberkeiten zu vernehmen, die sich am Dienstag fallweise in Wolfgang Amadé Mozarts „Jupiter-Symphonie“ und bei Antonín Dvořáks Neunter zeigten.
Aber Muti wäre nicht Muti, könnte er den gemeinsamen Interpretationen nicht auch so seinen unverkennbaren Stempel aufdrücken. Und auch die Philharmoniker wären nicht sie selbst, würden sie nicht blitzschnell aufeinander reagieren und im schönsten Falle in musikantischer Freiheit sich aussingen: Etwa dann, wenn Matthias Schorn seine Klarinettensoli mit dem zartesten und dennoch niemals abreißenden Pianissimo serviert.
Düsterer Grundton
Kantig, finster, ruppig: Schwang schon in der langsamen Einleitung zu „Aus der neuen Welt“ ein Kommentar zur gegenwärtigen politischen Lage in den USA mit? Dvořáks Partitur gibt freilich das Herbe bereitwillig her, ohne dass man sie erst in diese Richtung trimmen müsste. Mutis immer pointierte Deutung betonte jedenfalls die grimmigen Auseinandersetzungen, die sich zwischen Lyrik und Dramatik ergeben.
Tschechische Volksmusik, Spirituals, Musik der amerikanischen Ureinwohner? Es gehört ja gerade zu Dvořáks Großtaten, sich die Einflüsse nicht fein säuberlich auseinanderdividieren zu lassen. Egal, ob die Sehnsuchtsgesänge des Largo über der Prärie oder über böhmischen Feldern erklingen: Wichtig ist, dass sie ihren Zauber entfalten. Die leisen Tremoli der geteilten Streicher, die ausdünnenden, stockenden Soli, der letzte Aufschwung, die famos sonoren Schlussakkorde der Kontrabässe; im Finale dann auch die aufmüpfig nachschlagenden Achtelnoten der Hörner: Das waren diesmal jedenfalls Höhepunkte.
Faszinierend auch, wie Muti über jede Phrase der „Jupiter-Symphonie“ neu nachgedacht zu haben schien und vom gemessenen, von seiner Galanterie geradezu beschwerten Kopfsatz einen großen Bogen hin zum Esprit der Aufklärung im Fugen-Finale spannte. Mozart im alten Stil? Vielleicht – aber mit neuem Sinn.
19. Februar 2025
Riccardo Muti and the Vienna Phil: Dvořák glows in the golden Musikverein
Watching the Vienna Philharmonic’s eight double basses lined up along the rear of the Musikverein stage is a joyous sight. Led by Ödön Rácz – who often seems to play by pugnaciously rocking his instrument back and forth rather than by moving his bow! – they provide a sturdy foundation, their position behind the woodwinds and brass literally enveloping the orchestra in string sound. In their account of Dvořák’s New World Symphony under the hawk-eyed Riccardo Muti, that burnished string sound was especially wonderful.
Muti debuted with the Vienna Phil in 1971 and he has conducted them over 500 times. Their relationship feels like a comfortable pair of cosy old slippers – they know how this music goes, he knows they know how the music goes and he trusts them to play it without too much fuss or intervention.
And my, they know how to play Dvořák 9! This was an expansive performance (48 minutes, including the first movement exposition repeat) but full of incident and satisfying detail. The powerful brass never swamped the rest of the orchestra, even in the dynamic swells that brought the first movement coda to an exciting close. Rabble-rousing in the Scherzo – the final chord earning an approving nod from Muti – the brass contributions to the finale, launched fiercely by the double bass team before a gorgeous clarinet solo from Matthias Schorn, were thrilling.
But it was the Largo that was the highlight of the evening. Wolfgang Plank’s creamy cor anglais theme was milked for all its worth, Muti bringing out the accompanying string detail like a watery shimmer. The movement’s dying moments, where Dvořák scales the instrumentation down to ten strings, then to a string quartet, were luminous, glowing embers that seemed to echo the Großer Saal’s golden lustre.
If Dvořák’s Ninth was the perfect fit in the Musikverein, Mozart’s Jupiter beforehand was unfashionably well-upholstered. Historically-informed performance practice has left the Vienna Philharmonic largely untouched – hard timpani sticks made little impact – and their account of K551 was carved from granite. Or perhaps marble, because the sheen of the strings – 26 violins – was undeniably very beautiful.
Tempi were unhurried but the playing was well balanced and rhythmically alert, apart from the Menuetto where, although Muti beat one-in-a-bar, it felt more like a waltz, a hangover perhaps from his New Year’s concert last month. In the intricate finale, Muti’s moderate tempi permitted clarity rather than the adrenalin rush of period instrument speeding, every strand of the fugue audible, building to an exultant climax. This was chocolate box Mozart for a chocolate box hall, but why not indulge in calorific craving once in a while?
28. September 2024
Mitreißende Vielfalt mit „Faltenradio“
Bei „Meisterkonzerten“ gab es diesmal unvermutete Kombinationen auf höchstem Niveau
Iffeldorf. Harmonikas und Klarinetten, ein Metronom, die Stimme, die Füße und ein ordentlicher Schuss Wiener Schmäh: Mit dieser Kombination und unglaublicher Vielfalt begeisterte „Faltenradio“ jetzt bei den „Iffeldorfer Meisterkonzerten“. Wobei der Name nicht auf das Alter des Publikums zielt, sondern ein scherzhaftes Synonym ist für die Steirische Harmonika. Wer dabei jedoch nur an Volksmusik denkt, irrt sich gewaltig.
Mit dem Programm „Landflucht“ zeigen Alexander Maurer, Stefan Prommegger, Alexander Neubauer und Matthias Schorn eindrucksvoll, wie kleingeistig es ist, Musik in ein Raster zu packen. Sie mischen munter Mozart und Wader, Kubas Lebensfreude und Gregorianisches, Nachdenkliches und Amüsantes.
Alles mit charmant-larmoyanter Moderation. Und natürlich mit der unglaublichen Virtuosität der vier Profimusiker. Sowie deren Leidenschaft beim Spiel und beim Experimentieren.
Das ist aber der ersten Sekunde zu spüren. Zum Takt des Metronoms entlockt Alexander Maurer der Harmonika sphärische Klänge. Im Gleichschritt erscheinen nach und nach die Kollegen und legen mit den Klarinetten und „Ten Children“ des amerikanischen Jazzers Michael Lowenstern über den Saal einen dichten Klangteppich, der abrupt in den schmissigen „Links-Rechts-Marsch“ umschwenkt. Dem folgt eine launige Wirtshausbegrüßung mit feiner Schmähung der Obrig- und Geistlichkeit. Weiter geht’s mit Mozart „Dafür hat uns der Pfarrer zum Studieren in die Stadt geschickt“. Das „Adagio 580a“ ist zum Dahinschmelzen. Fein abgestimmt mit drei Klarinetten, dazu sachte Orgeltöne vom Akkordeon. Ebenso romantisch Schumanns „Träumerei“ aus den „Kinderszenen“, ausgefeilt improvisiert Friedrich Guldas jazziges „Für Rico“. Makaber Ludwig Hirschs „Ich hab’s wollen wissen“ und zum Mitsingen für ein stimmkräftiges Publikum etwas Hannes Wader. Den roten Faden bilden die tollen, unvermuteten Kombinationen auf höchstem Niveau. Da tobt das Publikum im vollen Saal und lässt die Musiker erst nach mehreren Zugaben und einem fetzigen „Rock me Amadeus“ gehen.
12. August 2024
Die Himmelfahrt vor der Moderne
Andris Nelsons und die Wiener Philharmoniker mit Mahlers Neunter.
Wenn es in der Festspielintendanz von Markus Hinterhäuser ein musikalisches Gegenstück zum alljährlichen „Jedermann“ gibt, dann ist es Gustav Mahlers Symphonie Nr. 9. Zum fünften Mal seit 2017 ist dieses Werk an der Schnittstelle zur Moderne erklungen, in den Sommer des Schönberg-Jahrs passt es besonders gut: 1909 komponierte Mahler sein Abschiedswerk, gleichzeitig arbeitete sein Wiener Zeitgenosse an ersten atonalen Stücken. In Salzburg ist all das binnen weniger Tage zu hören: pures Festspielglück. Im Mahler-Originalklang der Wiener Philharmoniker drängt sich das Expressionistische der Neunten nicht in den Vordergrund. Andris Nelsons, der Jahr für Jahr an seinem Salzburger Mahler-Zyklus arbeitet, ist zwar ein Spezialist für Schostakowitsch, die Verbindungslinien zwischen den beiden Symphonikern erschließen sich hier kaum. Die Qualitäten des Orchesters berühren eine andere westliche Seite Mahlers, nämlich das Schwelgen in großem Klang. Fast eine halbe Stunde dauert im Großen Festspielhaus der Kopfsatz, genug Zeit, um die Schönheiten dieser Musik unter die Lupe zu nehmen. Pastos legst sich der warme, seelenvolle Streicherklang über die hauchdünne Struktur des zarten Nachtstücks, nur unterbrochen von den brillant dröhnenden Blech-Interventionen in den Seitengedanken des Riesensatzes. Wie Andris Nelsons das gemächlich ausbreitet, sich nicht in Kleinteiligkeit verliert, sondern einen Bogen über das große Ganze spannt: das ist schon sehr beeindruckend.
Fast zu schön klingt dann der Ländler, die Kunstfertigkeit der Philharmoniker lässt das vermissen, was Mahler in der Vortragsbezeichnung – „etwas täppisch und sehr derb“ – ausdrücklich einfordert. Formvollendet gerundet das Blech, betörend das Holz: nur Matthias Schorn an der Klarinette bringt herzhaft alpine Volksmusik-Tönungen in Spiel. Auch vom zweiten Binnensatz bleibt trotz aller Präzision weniger das Diabolische der Rondo-Burleske in Erinnerung, das etwa Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker kühl zugespitzt und „moderner“ zum Ausdruck gebracht haben, sondern die zarten Vorahnungen der abschließenden Sehnsuchtsmelodie.
Dieses Adagio, einer der großen Schlusssätze in Gustav Mahlers symphonischem Kosmos, steht im Zentrum von Andris Nelsons Werksicht. Wieder sind es die Streicher, die einzelne Stimmen, Schattierungen wie Karamell zum Klang verschmelzen und diesem Satz ihren Stempel aufdrücken. Nelsons bringt diesen Satz in aller Ruhe zur Entfaltung und kostet die berührende Klangwirkung aus. Diese Himmelfahrt kann man nicht besser gestalten, alles verklingt und erstirbt atemberaubend nuancenreich. Ergriffenheit und langsam anschwellender Jubel.