„Festspielfrühling“ der Festspiele MV auf Rügen

Die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern sind vor wenigen Tagen fulminant ins Jahr 2024 gestartet. Die schon lange bekannte Vorschau hatte es wieder in sich: Drei Blöcke sind im Angebot: der Festspielfrühling Rügen mit 24 Veranstaltungen (8. bis 17. März), der Festspielsommer mit 127 Veranstaltungen (14. Juni bis 15. September) und der Festspielwinter mit 11 Veranstaltungen (4. bis 15. Dezember). Das Ganze findet landesweit an 73 Orten statt: historisches Ambiente und landschaftliche Idyllik garantiert. Musikland MV – wie wahr! Und wie attraktiv!

Nun also erst einmal der Festspielfrühling, traditionell auf Deutschlands Sonneninsel Rügen. Die Sonne schien tatsächlich bei allerdings kaltem, aber klarem Himmel. So richtiger Frühling war das noch nicht. Aber Herz- und Gemüterwärmendes gab es schon in den ersten Tagen in Hülle und Fülle. Dafür sorgte  die diesjährige Künstlerische Leitung, die mit dem Danish String Quartet in allerbesten Händen lag. 2009 gastierte das damals junge und noch wenig bekannte Ensemble erstmals auf Rügen und kehrte nun – inzwischen international hochgeschätzt – zurück: als Künstlerischer Leiter eines zehntägigen Musikfestes, als dessen Planer und, samt hochkarätigen befreundeten Gästen, als vielbeschäftigter Mitgestalter. Auf die ersten sieben Konzerte sei im Folgenden summarisch zurückgeschaut. Sie verraten schon einiges über ein konzeptionelles Vorgehen, das an attraktiven innovativen Momenten nicht spart.

Da ist zunächst das Quartett-Ensemble selbst. Es verfügt souverän über alle spieltechnischen und gestalterischen Qualitäten, die heute internationale Standards prägen. Geradezu müßig, ihm einen fantastischen Ensembleklang zu bescheinigen, eine noble, dynamisch ungemein variable Tongebung, Intimität, Kraftfülle sowie ein musikantisches Pulsieren, das in seiner inneren Lebendigkeit, Ausdrucksvielfalt und Expressivität vom ersten Ton an fesselt. Beste Voraussetzungen also für einen bemerkenswert kontrastreichen, ja bedeutsam gestalteten Mozart (Es-Dur-Quartett KV 428) oder für den gern mal unterschätzten, mit seinem „Sturm-und-Drang-Ton“ immer wieder aufhorchen lassenden Haydn (Quartett g-Moll op. 20/3). Mit der Einbeziehung sehr honoriger Gäste wurde es programmtechnisch dann noch besonders spannend. Wie auch nicht, wenn sich ausgewiesene Kammermusiker wie der Däne Nicholas Swensen (Viola) und der Finne Johann Rostamo (Violoncello) gemeinsam mit dem Quartett um das betörend klangraffinierte Streichsextett aus dem „Capriccio“ von Richard Strauss (op. 85) kümmern oder das fast improvisatorisch frei und ungemein sensibel musizierte Brahms´sche Klarinettentrio a-Moll op. 114 den höchstrangigen Interpreten Matthias Schorn (Wien, Klarinette), J. Rostamo und Petya Hristova (aus Bulgarien stammend, Klavier) zu danken war. Hier und bei vielen weiteren Programmen sorgten diese Musiker rechtens für heftigen Beifall. 

Und der galt nicht  minder auch einer Vielzahl kleinerer Musizierformen, die in Anlage und Zweckbestimmung zwar meist aus dem Aufmerksamkeitsraster fallen, sich bei genauerem Hinhören aber nicht selten als wahre Meisterwerke originell besetzten und unterhaltenden Charakters erweisen. Vorausgesetzt, man musiziert sie so engagiert und so meisterlich wie hier geschehen: etwa  Mozarts sogenanntes „Kegelstatt-Trio (KV498, Klarinette, Viola, Klavier), Beethovens „Duett mit zwei obligaten Augengläsern“ (WoO 32, Viola, Violoncello), Violastücke Schumanns („Märchenbilder op. 113) oder eine „Serenade“ des dänischen Romantikers Emil Hartmann (Klarinette, Violoncello, Klavier). Interessante Aspekte aber auch mit Strawinskys von Clara Wolfram (Staatstheater  Schwerin) vorgetragenen „Geschichte vom Soldaten“ (arr. für Violine, Klarinette, Klavier), Fünf Stücken für Violoncello und Klavier von Sulchan Zinzadse oder Nino Rotas Trio für Klarinette, Violoncello und Klavier; mit Ausnahme Strawinskys kaum bekannte Exoten, für deren Bedeutung aber eine nicht zu leugnende kompositorische Meisterschaft spricht. Das wären dann schon mal musikpolitische Pluspunkte gegenüber einem internationalen, sträflich vernachlässigten und riesigen musikalischen Erbe. 

Etwas davon aber bot – Achtung: Großereignis! – der DR Danish National Girls` Choir unter Leitung der Britin Charlotte Rowan. Das sind 38 Mädchen und junge Frauen zwischen 16 und 22 Jahren, die als eines der bedeutendsten Vokalensembles Dänemarks gelten und weltweit Furore machen. Dies mit einem Repertoire zwischen Folklore, Pop, traditioneller Musik und Moderne – gern gemeinsam mit dem auch sonst so leidenschaftlich wie hinreißend nordischer Folklore huldigenden Danish String Quartet. Egal, ob a-cappella oder mit Begleitung: das Ensemble faszinierte sowohl in  festlichem (Marstall Putbus) wie unorthodoxem Rahmen (jawohl, Backstube der Großbäckerei Peters in Sassnitz/Mukran!) mit einem hier nicht näher beschreibbaren Riesen-Repertoire und einer echt „nordischen“ Stimmgebung; sehr geradlinig, enorm klangintensiv, kraftvoll, technisch perfekt und nicht ohne einen Schuss bezwingender Suggestivität. Beifallsstürme garantiert!

Im Übrigen waren (in bislang zur Rede stehenden Programmen) die Kombination von Streichquartett-Klassik mit urwüchsiger nordischer Folklore und die des Vokalen mit Quartett-Arrangements schon Beispiele für die eingangs angekündigten innovativen Formate. Ihnen wäre ein noch weitergehendes hinzuzufügen: ein Kammerkonzert unter dem Titel „Mono no aware“, was japanisch ist und die Flüchtigkeit des Augenblicks, vor allem auch des schönen, bezeichnen soll. Hier waren alle beim Festival-Frühling Beteiligten zu erleben, in einer Kombination von Musik (Auszüge von Brahms, Britten, Marcus Paus, Arvo Pärt, Bruch und Mozart), japanischen Filmszenen und gesprochenem Wort (Exeter book aus dem 10. Jahrhundert). Ein eher meditativer Abend, ein Plädoyer fürs Leise, Verinnerlichte. 

Sieben Konzerte an drei Tagen und Programme, wie sie unterschiedlicher nicht sein können! Aber ihr Pulver haben die Festspiele MV damit noch lange nicht verschossen. Der „Rest“ bleibt mächtig spannend!   

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