Dann fiel auch noch der Strom aus

„Faltenradio“ war bei seinem dritten Gastspiel in Dechow wunderbar interaktiv, obwohl gänzlich analog. Man hätte es eigentlich anhand ihres Minenspiels beim Eröffnungsbild schon ahnen können: Dieses inzwischen bereits dritte Gastspiel von Alexander Maurer, Alexander Neubauer, Matthias Schorn und Stefan Prommegger bei den Kulturtagen Dechow wird ein anderes. Die vier österreichischen Vollblut-Musikanten von „Faltenradio“ tauchten das diesmal überwiegend aus der westwärts gelegenen Nachbarschaft angereiste Publikum der Dorfbühne in ein Wechselbad der Gefühle. Mit dem hochaktuellen Zitat Leonard Bernsteins: „Die Zukunft unserer Welt wird allen Völkern gemeinsam sein oder sie wird sich als eine sehr unwirtliche Zukunft erweisen.” gab das virtuose Ensemble seinem Bühnenprogramm die Richtung, welches aus gegeben Anlass mit „Respekt“ betitelt ist. „Glauben wir an eine gemeinsame Zukunft?“, fragte Matthias Schorn ins Publikum und sinnierte zugleich, dass aufeinander Zugehen wohl anstrengend sei, es aber durchaus auch vorkomme, die andere Seite zwinkere verführerisch zurück. Derlei tiefsinnige Gedanken ließen die jungen Virtuosen – geboren zwischen 1976 und 1985 in Salzburg und der Steiermark – immer wieder in ihr leidenschaftliches Agieren aus fantastischer Instrumentalität, ausdruckstarkem Sprechgesang und ausgelassenem Volkstanz einfließen, wobei ihnen vielsagende Gesten durchaus nicht abgingen. So etwa bei Faltenradios wilden Ausflügen mit der „Neuen Deutschen Welle“ in die Bronx oder mit Falcos „Amadeus“ in den Popstar-Himmel. Dass bei aller musikalischen Vielfalt ausschließlich klassische Klarinetten, das namensgebende Akkordeon – alias Schifferklavier oder eben Faltenradio – und handgemachte Percussion auf einem Sitzkasten zum Einsatz kamen, unterstrich die Klasse des vor zehn Jahren aus einem Bläserurlaub erwachsenen Ausnahme-Ensembles. Nicht zu vergessen die unkonventionelle Regie des bekannten Wiener Fotografen und Lichtbildners Lukas Beck. Lieferten sich die Klarinettisten Prommegger, Schorn und Neubauer etwa beim „III. Presto“ nach Carl Philipp Emanuel Bach ein kleines Wettrennen mit Alexander Maurers Tasten-Akkordeon oder gebärdeten sich bei zünftiger Hütt‘nmusi bzw. alpenländischen Volksweisen kindlich verspielt mit Klatschen und Jauchzern, so zeigten sich die Vier gemeinsam wie solo bei passender Gelegenheit ebenso taff wie jazzig und durchaus auch mal mysteriös zu Astor Piazolla. Als jedoch ausgerechnet bei einem Polka-Potpourry nach Dmitri Schostakowitsch im „Haus Dechow“ – gewollt oder nicht – der Strom ausfiel, spielte Faltenradio nahezu ungerührt im Dunkeln weiter, nur von einer im Publikum geborgten Handyfunzel und dem Kerzenlicht des Saal spärlich illuminiert. Sollte dieses Manöver womöglich etwas drastisch belegen, dass man Faltenradios Botschaft durchaus auch leise empfangen könne, wenn man nur konzentriert zuhöre, so brauchte es in Dechow dieses „Zaunpfahlwinkes“ eher nicht. Schließlich bedankte sich Faltenradio für diesen unvergesslichen Abend sowohl in Gestalt mitreißender Zugaben als auch explizit mit Matthias Schorns Ansage: dieses Auditorium habe nicht nur jegliche von den Musikanten ausgesandte Stimmung direkt übernommen, sei sogar zeitweise beinahe „stehend ausgeflippt“, sondern habe auch bei drastisch provokativen Stücken wie Helmut Qualtingers „Krüppelschlager“ oder „D‘Zigeiner san kumma“ von Konstantin Wecker nachdenklich schweigend reagiert. Solch einer Empathie zu begegnen sei für sie als Künstler ein seltener Glücksfall – eine Verbindung zwischen den Menschen ganz ohne W-Lan. „Analog ist es doch am schönsten“, verabschiedete sich Faltenradio aus Dechow für diesmal.

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