Ein weit gesteckter musikalischer Rahmen

Benny Goodman (1909-1986) war ohne Zweifel einer der erfolg- und einflussreichsten Musiker des 20. Jahrhunderts. In Chicago als Sohn armer jüdischer Emigranten geboren, bestritt er seinen Lebensunterhalt bereits mit 12 Jahren als Jazzmusiker. Er gilt bis heute als Mitbegründer des Swing,  prägte früh mit seiner legendären Bigband die amerikanische Musikszene. Er eroberte als erster Jazzer 1938 die bis dahin den Größen der klassischen Musikszene vorbehaltene Carnegie Hall in New York. Perfektionist, zugleich ausgestattet mit  absoluter Hingabe an die Musik und dem Wissen um ihre emotionale Wirkung auf das Publikum, machte er rasch Weltkarriere. Sein Einsatz für die Gleichberechtigung schwarzer und weißer Musiker machte ihn gleichzeitig zu einem Vermittler zwischen Stilen und Kulturen. Komponisten der Klassikszene wie Aaron Copland und Béla Bartók sowie der Komponist zwischen beiden Welten, Morton Gould (1913-1996) widmeten Benny Goodman Kompositionen, die zum Schwierigsten zählen, was für Klarinette geschrieben wurde…

Der weit gesteckte musikalische Rahmen dieses Konzerts begann mit Morton Gould und Benny’s Gig für Klarinette und Kontrabass, 8 kleinteiligen Piecen, die klangliche und rhythmische Bausteine wie in einem musikalischen Setzkasten wunderbar zusammenfügen. Bei Aaron Copland bestellte Goodman, der auch mit Mozarts Klarinettenquintett KV 581 und dem Klarinettenkonzert KV 622 brillierte, ein Klarinettenkonzert. Aber auch das Sextett für Klarinette, Streichquartett und Klavier aus dem Jahr 1937 stammt von Copland. Eine Art „Apotheose des Rhythmus“ im Kopfsatz (Allegro vivace) und im Finale (Precise and rhythmic). Extra dry die Machart, pfiffig gesetzt, sehr spitz, sehr staccato, voll witziger Einfälle und schräger Überraschungen. Darin eingebettet ein klangflächiges Lento, ein bewusster Ruhepunkt zwischen dauernden Taktwechseln, Staccato-Gewittern und Synkopen in Permanenz.

Die Virtuosität des King of Swing  brach sich vor allem in 2 hinreißend swingenden Stücken nach der Pause Bahn: Clarinade und Rachel’s Dream, eine Gemeinschaftsproduktion mit Mel Powell (1923-1998). Das letztere Stück wurde von Goodman anlässlich der Geburt seiner Tochter komponiert.

Höhepunkt des Abends aber waren die Kontraste für Klarinette, Violine und Klavier, die Béla Bartók in seinem letzten Lebensabschnitt schrieb, schon während der Emigration in Amerika, von Benny Goodman inspiriert. Auch Bártóks Kontraste leben von Tempowechseln. Der erste Satz, Verbunkos, ist der Tanz, den Rekruten zu ihrer Vereidigung zelebrieren. Bei Bártók klingt jedoch kontrastreich beides an: jazzige Rhythmen und Volksmelodien, schräg gebrochen, aus der alten Heimat. Auch hier ist der Mittelsatz, Pihenö (was so viel heißt wie „Entspannung“) ein subtil gearbeiteter Ruhepunkt – um mit dem schnellen Tanz Sebes entfesselt zu schließen.

Der philharmonische Meisterklarinettist Matthias Schorn (der „Schorny“) war in allen diesen Stücken inspiriertes Kraftzentrum und musikalisch mitreißendes Energiebündel. Für diesen Abend (den dritten im Zyklus 2019/20, „Schorny in the Muth“ mit seinen Wanderungen zwischen den Musikwelten Klassik und Jazz) tat er sich wieder einmal zusammen mit Lehrenden und Studierenden der Musik und Kunst Privatuniversität. Und es wurde wieder ein Musterbeispiel an Spielfreudigkeit, an hinreißender, beglückender Musizierlust. Fedor Rudin und Julia Turnovsky (Violine), Gabriel Iscuisatti (Viola), Clemens Boigner (Violoncello), Gustavo D’Ippolito (Kontrabass), Iren Seleljo und Arsenje Krstić (Klavier), sie alle verdienen eine Ovation! Die Texte zur Benny Goodman-Story stammen vom Kulturjournalisten Michael Laages. Sie gehen ein auf die Kindheit des Emigrantenkindes  Benny, auf sein Naturtalent und auf die Zufälle, die ein Leben mit unverhofften Wegen, Ecken und Kreuzungen beeinflussen. „Hätte ich nicht die Begegnung mit der Klarinette gehabt, wer weiß, vielleicht wäre ich ein Gangster geworden…“ lässt er Goodman „sagen“. Aber auch darum, was ist eigentlich Jazz? Ist das überhaupt Musik? geht es. So lässt Laages so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Wilhelm Furtwängler oder den sich mit apodiktischen Meinungen sakrosankt dünkenden Theodor „Wiesengrund“ Adorno räsonieren. August Zirner serviert diese Texte mit emotionaler Beteiligung, aber auch lakonisch und mit subtiler Ironie.

Das Benny Goodman Orchestra spielte immer mit großem Sentiment die tieftraurige Nummer „Goodbye“ von Gordon Jenkins zum Ende ihrer Konzerte. So war es auch im MuTh: In der Bearbeitung für ein Sextett (im Arrangement von Jarkko Riihimäki). Gab’s die eine oder andere verstohlen zerdrückte Träne? Sogar eine kleine Überraschung bei der Zugabe: Bis auf den Pianisten hörten auch auf dem Podium alle gebannt zu, als August Zirner mit einer Miles-Divies-Improvisation zeigte, dass er (nicht an der Trompete, aber an der Querflöte!) ein begeisterter Jazzer ist!

Starke Akklamation für einen besonderen Abend.

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