Per Klarinette den Mond angemeckert

Ulrichshusen. Er ist ein vitales Beispiel dafür, dass es auch ohne geht. Ohne ein Image aus der Pop-Retorte, ohne Getue. Man muss sich als klassischer Musiker heute weder zur männlichen Diva hochstilisieren lassen, noch einen auf Latino-Künstler-Beau machen. Man kann ganz einfach seine Arbeit tun, fleißig sein und wird auch Erfolg haben. Aller äußerlichen Unaufgeregtheit zum Trotz. Der 24-jährige Klarinettist Matthias Schorn hat es auf diese Weise zum ersten Klarinettisten des Deutschen Symphonie-Orchester Berlin gebracht, er musizierte schon unter Kent Nagano und hat den Solistenpreis der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern 2005 bekommen. Im Rahmen der Festspiele begeistert der junge Mann nun erneut solo und gemeinsam mit dem Amaryllis-Quartett beim Ulrichshusener Adventskonzert das Publikum im ausverkauften Schloss-Saal. Ein wenig linkisch wirkt er, dieser Matthias Schorn, fast wie ein bürokratischer Aktenverwalter – aber stets nur in den Körperbewegungen, nie im musikalischen Ausdruck. Da gibt es nur Anmut und diesen in Melancholie getauchten wunderschönen organischen Ton. Und Spaß versteht er auch noch, dieser wohl spannendste Klarinetten-Newcomer seit es Sabine Meyer gibt. In Gottfried von Einems Solo-Kunst-Stück „Der einsame Ziegenbock“ meckert er – gleich dem jämmerlich zusammen gekauerten Ziegenbock am Wegesrand – auf seiner Klarinette den Mond an, was das Zeug hält. Er gibt musikalisch alles, was so in einem traurigen, missverstandenen und verlassenen Ziegenbock steckt. Und das ist nicht wenig. Die Wiedergabe des h-Moll-Klarinettenquintetts op. 115 von Johannes Brahms, dieses tiefgründigen Spätwerks von betörend melodischem Zauber, wird in der Coproduktion von Matthias Schorn mit dem Schweizer Amaryllis-Quartett zu einem zarten Mirakel: Die üppige Klarinette und das durchsichtig zarte Streichquartett schaffen Musik von todesnaher Schwermut. Süß, herb, reich und unwiderstehlich traurig. Der Klarinettist besitzt einen blühenden, modulationsfähigen Ton. Zusammen mit dem Amaryllis-Quartett bietet er eine gewichtige Wiedergabe des brahmschen Spätwerks. Vor allem der erste Satz wird zur innigen Tragödie. So klug und tiefgründig die Fülle und herbe Melancholie dieses brahmschen Meisterwerkes zu gestalten, ist eine bewegende Leistung dieser ausnahmslos jungen Musiker. Die Freiheit und die Klasse, mit denen Schorn die fantasiebeschwingte Quasirhapsodie im Adagio vorträgt, faszinieren nicht weniger als die witzige Virtuosität der huschenden Prestopassagen. Das Amaryllis Quartett musiziert subtil und begleitet aufmerksam. Dass dieses seit sechs Jahren gemeinsam auftretende Quartett (das bei Walter Levin, dem Primarius des LaSalle Quartetts, studierte) einen beachtlichen, sehr ernst zu nehmenden und dennoch so sanft artikulierten Beethoven hervorbringen würde, war eine weitere „Offenbarung“ dieses Adventskonzerts. Das „Rasumowsky“-Quartett bekam enorme Tiefe, ohne aufzutrumpfen. So wirkte das Spiel zugleich philosophisch als auch klassisch-klar. Die Musiker verstanden es, den weit gespannten Zusammenhang der geheimnisvoll miteinander verbundenen Ideen dieser Musik, den Mikrokosmos der beethovenschen Tonsprache, auf ihre höchstpersönliche Weise zu interpretieren.

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