Vier musikalische Freigeister voller „Respekt“

Polling – Liest man „Weltmusik“ auf Konzertplakaten, weiß man inzwischen recht gut, auf was man sich einstellen darf. Crossover-Projekte boomen. Lässt man sich – wie am Samstag zahlreiche Gäste der traditionsreichen „Hörtnagel“-Konzerte im Pollinger Bibliotheksaal – verführen, dem österreichischen „Faltenradio“ Gehör zu schenken, taucht man in eine Art Wellenbad aus Überraschung, Faszination, Tiefgang, Haltung und purer Musizierlust ein. Sie sind zu viert, meist drei Klarinetten und eine Steirische. Sie wechseln aber auch gerne durch, denn alle vier sind instrumental und gesanglich multitaskingfähig – inclusive (Body-)Percussion. Sie sind Top-Profis, lehren an renommierten Hochschulen und stecken in den weltbesten Orchestern, wie Matthias Schorn als Soloklarinettist der Wiener Philharmoniker oder Instrumentalkollege Alexander Neubauer von den Wiener Symphonikern. Beide einfach umwerfend in ihrer Farbpalette und Stilsicherheit. Gemäß dem Programmtitel „Respekt“ zitieren sie erst einmal Leonard Bernstein: „Die Zukunft unserer Welt wird allen Völkern gemeinsam sein oder sie wird sich als eine sehr unwirtliche Zukunft erweisen.“ Dann feuern sie als Kostprobe ihrer bestechenden Instrumentalkunst eine Bearbeitung von Bernsteins „Candide“-Ouvertüre in den Saal. „Glauben wir an eine gemeinsame Zukunft?“ Extrem trocken kommen die weltanschaulich-philosophischen Zitate, die in den Abend eingebunden sind. Zwinkert da beim aufmerksam beobachteten Streitgespräch nicht bereits die andere Seite des Konflikts verführerisch herüber? Zur Untermauerung dieser These schmilzt ein extra feiner Boarischer für Klarinetten-Terzett und Ziach im Pollinger Pastell dahin. Dieser Glücksvierer, der ganz locker in Jeans und Pulli auf der Bühne steht, macht eines rasch klar, auch wenn es Klassikpuristen den Schweiß auf die Stirn treibt: Die strikte Trennung musikalischer Genres ist passé. Denn der musikalische Schöpfungsprozess, wenn er so brillant und lustvoll zelebriert wird wie hier, schenkt in jedem Fall eines: Genuss pur. Zum liebevollen Wettrennen der Stimmen wird Carl Philipp Emanuel Bachs „Presto“. Die elegant geschmeidige Steirische von Alexander Maurer liegt auf der Überholspur, eng auf den Fersen ist ihr Stefan Prommeggers himmlische Bassklarinette. Die Freiheit, mit der sich „Faltenradio“ jazzig groovend bewegt, ist schon beinahe unerhört. Auch gesellschaftlichen Zündstoff scheuen diese Musiker nicht. Erst muss es „Gmiatlich sei“, ehe es den Zigeunern zum Konstantin Wecker-Song an Leib und Leben geht. Ob Schuberts Seelentrost, ultraschräger Steirer oder Balkan-Polka, die Begeisterung ist am Anschlag. Als es bei der finalen Zugabe „clap your hands“ heißt, hat „Faltenradio“ längst alle um den Finger gewickelt. Matthias Schorn greift zum Mikro und schleudert Falcos „Rock me Amadeus“ raus, dass eigentlich der Stuck von der Decke kommen müsste. Selten so gelacht in Polling. An Ende ist man berührt und einfach glücklich.

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