Hofmusik mit Caecilia und ihren Verwandten 

Der Engel, der am Ende von Alban Bergs Violinkonzert so ätherisch in lichte Höhen zu entfleuchen scheint – dieser Engel mag in seiner irdischen Existenz genau so getanzt haben, wie es Andris Nelsons am Pult der Wiener Philharmoniker am Beispiel von Gustav Mahlers Vierter Symphonie ahnen haben lassen. Was für eine Werkpaarung. „Dem Andenken eines Engels“ steht über Alban Bergs Violinkonzert, und die zu genießenden „himmlischen Freuden“ sind in Gustav Mahlers exemplarischster Wunderhorn-Symphonie ausgemalt. Es fänden sich auch manch andere Anknüpfungspunkte. Der witzigste: Nach der Uraufführung von Mahlers Vierter Symphonie hat der vom Werk und seinem Schöpfer begeisterte junge Alban Berg Mahlers Dirigierstab geklaut, als Devotionalie. Viel wesentlicher: Wie Mahler in der „Vierten“ ein letztes Mal sein Wunderhorn voll volkstümlicher Melodien in die große Symphonik ausgegossen hat, so hat Alban Berg seinen Konzert-Schwanengesang auch auf eine eingängige Kärntner Volksweise aufgesetzt. Gerade so, als ob er, Zwölftönigkeit hin oder her, ein letztes Mal vor seinem Tod die Zuhörer mit der Nase auf die ungebrochene Wirkkraft der Tradition habe stoßen wollen.

Diese Volksweisen, die das Berg-Violinkonzert wie Mahlers „Vierte“ durchziehen, sind nirgendwo besser aufgehoben als bei den Wiener Philharmonikern. Andris Nelsons, ein großer Analytiker und zugleich einer, der das Sezieren im Handumdrehen in süffiges Musizieren zu wenden weiß, hat die Empathie für die hoch authentischen Angebote des Orchesters. Und so war es am Samstag (5.8.) zur Mittagsstunde mehr als erhellend, hineinzuhören ins orchstrale Panorama. Wie unglaublich melancholisch und doch trittfest beharrend kann der kurze Tenorhorn-Einwurf gegen Ende der ersten Abteilung im Violinkonzert klingen. Und wie mitbeteiligt können all die Holzbläser die folkloristischen Anverwandlungen des Themas aufgreifen, so als wären sie samt und sonders in Blasmusikkapellen oder Volksmusikensembles groß geworden. In dieser Matinee schienen die Philharmoniker also Lederhosen und Dirndl zu tragen. Das Wort „Krachlederne“ wäre einem bei Berg trotzdem nicht dazu eingefallen und dann bei Mahler auch nicht. Die so wundersam stimmigen Volksmusik-Partikel, die auch der amerikanische Geiger Augustin Hadelich mit viel Charisma aufzugreifen und weiterzuentwickeln wusste, waren feinsinnig verwoben. Einfach umwerfend die Balance, exemplarisch nicht nur zwischen Solovioline und Klarinetten, einer in dem Werk so oft wiederkehrende Klangfabenpaarung.

Augustin Hadelich schien stets mit allen Sinnen beim Orchester. Er verströmte die zarten Lieblichkeiten, wie sie seine Guarneri hergibt, nie als Zuckerguss, sondern immer konstruktiv amalgamierend zu den streichenden und blasenden Kolleginnen und Kollegen. So geht’s wirklich direkt in den Himmel. Das ist ja auch die Richtung in der „Vierten“ von Mahler. Sagenhaft leicht und tändelnd im Eröffnungssatz und im Scherzo, wie auf Zehenspitzen über den Tanzboden schwebend und doch noch geerdet. Viele Feinheiten hat man heraushören können in Satz und Instrumentation. Den „ruhevoll“ überschriebenen langsamen Satz hat Andris Nelsons dann aber betont langsam genommen, wie um später die Sopranistin Susanne Karg und das Orchester die himmlischen Freuden noch pointierter herausstellen zu lassen „Caecilia mit ihre Verwandten / sind treffliche Hofmusikanten“, heißt es ja so schön im Wunderhorn-Text. Dem war an diesem Vormittag absolut nichts hinzuzufügen.

Logo: Matthias Schonr
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