Hochromantik als spannendes Ereignis

Einen fulminanten Auftakt hat Carl Maria von Weber für seine „Euryanthe“ komponiert. Christian Thielemann katapultierte mit den jäh hochfahrenden Akkordzerlegungen das Spiel der Philharmoniker quasi aus dem Stand auf höchste Höhen. Mit diesem Orchester verbindet ihn – bei romantischer Musik dieses Zuschnitts zumal – eine unschlagbare Partnerschaft: Sein Klangsinn und seine schlafwandlerische Sicherheit in der Organisation dramaturgischer Abläufe treffen auf willige Erfüllungsgehilfen. Es will dem Beobachter scheinen, dass, wenn Thielemann am Pult erscheint, die Philharmoniker immer noch ein bisschen aufmerksamer, konzentrierter, energischer zu Werke gehen als sonst, mit blitzsauber intonierten Bläserharmonien und auf schier endlosem Atem geblasenen Melodien, wie sie in höchster dynamischer Flexibilität unmittelbar nach dem Ouvertürenbeginn die musikalische Handlung vorwärtstreiben.

Dieser romantische Erzählton machte an diesem Vormittag auch Schumanns C-Dur-Symphonie zum spannenden Ereignis, mit einem herrlich strömenden Adagio inmitten, das Thielemann und die Philharmoniker in allen Stimmen hingebungsvoll zum Singen brachten.

Matthias Schorn, der wunderbare Klarinettist des Orchesters, durfte zwischendrin solistisch aktiv werden – und da der pädagogische Zeigefinger längst auch schon im Philharmonischen erhoben wird, durfte vor der poetisch (und im Schlussteil auch mit Witz) hingetupften Debussy-Rhapsodie das zeitgenössische Pflichtstück nicht fehlen: Aribert Reimanns „Cantus“, in dem ein endloser Gesang der Klarinette, nur von einigen scharf geschnittenen Einbrüchen unterbrochen, in unterschiedlichsten Farbflächen auf- und einmal auch in einer Art Klangsumpf unterzugehen droht. Dunkel ist das philharmonische Leben in diesem Werk, Bratschen und Kontrabässe, Kontrafagott, Bass- und Kontrabassklarinette dominieren, oft schnarrend und ächzend, die orchestralen Umspielungen.

Aber Schorns Ton bleibt selbst im Extremfall edel, in äußersten Höhen oder bei den von Zeitgenossen gern verwendeten „Multiphonics“ kann er seinen Klangsinn nicht verleugnen. Reimanns Stück kennt der Musiker in und auswendig, lebt mit jedem Posaunenakzent mit, übernimmt von der Flöte den kompositorischen Ariadnefaden, führt die faszinierten Hörer kundig durchs Dickicht.

Wie, denke ich dennoch zur Pause, hätte sich eines der Weber-Konzerte bei dieser Besetzung gemacht – zwischen „Euryanthe“ und Schumann?

Logo: Matthias Schonr
Suche
Close this search box.