Szenisch stimmiger „Tosca“-Anachronismus in Wien

In der Staatsoper gab man Puccinis Opern-Krimi mit Sonya Yoncheva und Piotr Beczale in musikalisch mediokrem Ambiente.

Es gibt sie doch noch, die berührenden Momente der großen italienischen Oper: Sonya Yoncheva gelang bei ihrem Wiener Rollendebüt ein vorbildliches „Gebet“ der Tosca: ebenmäßige Linienführung, schlackenlose Registerwechsel, klare Diktion, feine Farben und Obertöne und ein Ausdruck von schwebender Innigkeit – glücklicherweise ohne Drücker und Schluchzer.

Für ein paar Minuten ergab sich eine Atmosphäre von Konzentration und Anspannung, die wohl der Gesamtdauer dieses Polit- und Liebeskrimis zustehen würde. Der graue Opernalltag bescherte aber bloß eine oft vulgär lärmende Wiedergabe von Puccinis Meisterpartitur – mit bunt gemischten Charakteren und Temperamenten und vor allem mit Erfolgskurven aller Arten.Der Dirigent wählte eine hemdsärmelige, brutale Gangart, als ginge es um Phonstärken-Rekorde. Derbe Klanggewitter statt dosierter Passion und Sentiment. Das wahrscheinlich beste Opernorchester der Welt darf nicht wie ein Ackergaul behandelt werden, es handelt sich vielmehr um edle Rennpferde, die gehegt und gepflegt sein wollen. Wie sollte sich sonst intimes, partnerschaftliches Musizieren ergeben? Matthias Schorns kostbares Klarinetten-Solo im dritten Akt kann den Abend im Alleingang nicht herausreißen.

Ambrogio Maestri fehlt für den brandgefährlichen Intriganten Scarpia in Stimme und Aussehen jeglicher Anflug von Dämonie, Sarkasmus und Intellekt. Zur mangelnden Durchschlagskraft gesellt sich im Parlando noch eine Unzahl an unsauberen Tönen. Es blieb dem Tenor vorbehalten zu retten, was zu retten war. Für Piotr Beczala ist der Cavaradossi zur Paradepartie geworden – fokussiert im liebesbetonten Charakter, gründlich in der Darstellung des politisch Naiven – ein Profi vom Scheitel bis zur Sohle. Anscheinend wieder gut ausgeruht, funktioniert die Stimme imponierend, mit Kraft und viel Luft sitzen die Höhen und explodieren problemlos. Was im Timbre vielleicht an mediterranem Glanz fehlen mag, kann Beczala mit gepflegter Phrasierungskunst geschickt wettmachen. Mit dem vom kreischenden Publikum vehement eingeforderten Dacapo von „E lucevan le stelle“ durfte er auf den Spuren größter Vorbilder wandeln. Und die Tosca? Das wunderbare „Vissi d’arte“ sollte doch nicht alles gewesen sein. Aufgrund ihres exzellenten Rufs wäre von der prominenten wie attraktiven Diva mehr zu erwarten gewesen. Doch Sonya Yoncheva (Nervosität? Abendverfassung?) schien diesmal schaumgebremst und reserviert. Dass Allüren und große Gesten auch draußen blieben, störte dagegen weniger, eher die bescheidene Tragfähigkeit des keuschen Soprans. Die eifersüchtig Liebende gab sich eher zahm, im zweiten Akt fehlte natürlich mit Scarpia eine ernsthafte Konkurrenz.

Ein unflott gemixtes Kaleidoskop die Comprimarii: Dem stimmschwachen Angelotti von Evgeny Solodovnikov scheint der Kerker in der Engelsburg arg zugesetzt zu haben, ein Geheimagent darf auch die Kontur eines harmlosen Waserls zeigen (Andrea Giovannini als Spoletta); jedoch einmal mehr ein köstliches Kabinettstückl:der Mesner von Wolfgang Bankl. Und dazu der allerschönste aller Anachronismen: Margarethe Wallmanns Inszenierung funktioniert auch in der 618. Aufführung seit April 1958 tadellos. Hoffentlich noch lang.

Logo: Matthias Schonr
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