Eindringliche „Tosca“ ohne Allüre und Furor
Anja Harteros sang gefühlvoll in der Staatsoper. Ihre Partner blieben weitgehend grobschlächtig.
Anja Harteros erstmals in der Titelpartie von Puccinis „Tosca“ an der Wiener Staatsoper: Das sorgt für Aufsehen bei hiesigen wie angereisten Opernfreunden – und für die Begegnung mit einer nicht alltäglichen Rollenauffassung. Die Tosca der Deutschgriechin mit dem cremig-kostbaren Sopran trägt die Allüre der gefeierten Künstlerin keineswegs mit voller Intensität in ihr Privatleben mit Cavaradossi. Ihre anfänglichen Eifersuchtsaufwallungen sind nicht die unkontrollierten Explosionen einer Diva. Eher wird man Zeuge von Verstimmungen in einer stabilen Beziehung: Der Szene mangelt es an doppelbödiger Spannung, zumal es während des ersten Akts immer wieder wackelt im Orchestergraben.
Platter Bösewicht. Mikko Franck will seine diesmal etwas zügigere, aber unvermindert scharfkantige Lesart verwirklichen; sie klingt vorerst aber nicht so gut vorbereitet wie mit dem Trio Gheorghiu-Kaufmann-Terfel im vergangenen April. Erst im zweiten Akt, wenn Tosca von Scarpia mit aller Drastik bedrängt wird, gewinnt die Aufführung an Dichte, schaukelt sich das Geschehen glaubwürdig auf. Packend, wie sie vor ihrer Verzweiflungstat nervös durchprobiert, welche die beste Methode wäre, das Messer vor Scarpia zu verbergen: Jetzt nur nichts falsch machen, scheint es ihr durch den Kopf zu schießen. Diese Maxime gilt auch für die Sängerin Anja Harteros – und man dankt es ihr sogar. Ihre Tosca erfreut mit fein modellierten, lyrischen Details und verlässt auch in den fulminant gesteigerten Momenten nie die Gefilde des Schöngesangs: „Vissi d’arte“, halb vom Sofa geglitten begonnen, fehlt jedes Pathos oder der Drang zum äußeren Effekt, sondern bleibt ein introspektives Gebet. Die Emotion bebt spürbar darunter.
Die beiden in Wien in diesen Partien bereits bekannten Partner der Harteros sind dagegen von robusterem Zuschnitt, wobei Jorge de León als Cavaradossi besser abschneidet. Besondere dynamische Differenzierung oder eine ausgeklügelte schauspielerische Leistung sollte man von ihm nicht erwarten, und seinem etwas verhangen-dunklen, an matte Bronze erinnernden Stimmklang fehlen Wandlungsfähigkeit und Vortragsnuancen: In „E lucevan le stelle“ betörte wieder einmal nur der Belcantoschmelz der Klarinette, nicht auch jener des Tenors. Immerhin aber kann de León dem dissidenten Maler ohne sonderliche Mühe verlässliche Heldenstatur verleihen.
Marco Vratogna fällt dagegen deutlich ab: Er gibt als in jeder Hinsicht brutaler Scarpia alles und versucht vergeblich, sich mit aller Kraft noch zu überbieten. Hat er sich als einspringender Simon Boccanegra dieser Tage noch mit allerlei angeschliffenen Tönen eine Anmutung von Schöngesang verleihen wollen, zehrt er nun als platter Bösewicht mit Brunnenvergiftertimbre von der stimmlichen Substanz. Ausdauernder Jubel.