Vom rastlosen Rätselklang

Die Philharmoniker, die nun Christian Thielemann trafen, feiern ihren 175er: Ihr Konzertfleiß wurde nun auch im Buch „Das Orchester, das niemals schläft“ porträtiert Wien – Vom Dirigierklassiker Wilhelm Furtwängler, den Christian Thielemann schätzt, ist bezüglich der Wiener Philharmoniker so manche Geschichte erhalten: Furtwängler habe etwa für Zugaben gerne Stauß‘ Kaiserwalzer angesetzt. Da er jedoch ein Meister ausladender Tempi war, beschlossen die Musiker, dem Werk einmal Schwungkraft zu verleihen. Hernach wurde diskret nachgefragt, wie es Furtwängler gefallen habe. „Ausgezeichnet“, so der Maestro – „ich habe so dirigiert, wie ihr gespielt habt …“ Diese und andere Anekdoten sind zum nun gerade gefeierten 175. Geburtstag der Philharmoniker in Das Orchester, das niemals schläft (bei Amalthea) erschienen. Durchaus auch mehr: In der Historie des Orchesters, die sich an Einsteiger wendet, werden die Nazizeit (1945 waren knapp 45 Prozent der Philharmoniker NSDAP-Mitglieder) ebenso thematisiert wie wesentliche Dirigentenbegegnungen und das Spezielle des Orchestercharakters. Auch Dirigent Thielemann hebt im Buch die „außerordentliche Flexibilität“ hervor. Der Klang des Orchesters sei „jedes Mal einzigartig, ein Naturprodukt“. Mit ihm, dem selbsterklärten „liberalen Konservativen“, wurde das Besondere samstags im Musikverein kurz auch gefunden: Man musizierte bei Webers Euryanthe-Ouvertüre glühend, und doch gefasst, verband die Rasanz eines Sportwagens mit der Eleganz eines Dressurpferds. Die Genauigkeit und der emotionale Abwechslungsreichtum von Thielemanns Deutung – fesselnd, stimulierend. Besser geht’s nicht. Rhapsodische Versöhnung Etwas diffuser manche Stimmungszeichnung in Aribert Reimanns Cantus für Klarinette und Orchester: Im Beisein des Komponisten franste der Erzählstrang in dem abschnittsweise düsteren, recht ungewöhnlich besetzten Werk (ohne Violinen und Celli) etwas aus. Was nicht am Solisten lag: Matthias Schorn präsentierte die weite Emotionspalette des fünfzehnminütigen Werks so feinfühlig wie fulminant, bot hauchzarte Klagen und viehhafte Aufschreie. Der erste Klarinettist des Orchesters versöhnte den einen oder anderen erbosten Abonnenten danach mit Debussys Première Rhapsodie, von den Philharmonikern feinfühlig begleitet. Durchwachsen Schumanns zweite Symphonie: Nach dem fein gezeichneten Kopfsatz stockte das Scherzo-Getriebe wegen übergroßer Ritardandi Thielemanns zu oft. Auf das zerdehnt-manierierte Adagio espressivo folgte aber ein feuriges, begeistert beklatschtes Finale, das den Blick optimistisch Richtung Zukunft wenden ließ. Das Orchester, das niemals schläft und darum auch manchmal über zu viel Reisearbeit murrt, wird ja bald Gelegenheit haben, mit Daniel Barenboim Glanz zu versprühen – bevor es Richtung Neujahrskonzert mit Riccardo Muti geht. Barenboim kommt im Buch von Christoph Wagner-Trenkwitz auch das Finalwort zu: „Solange es eine Art zivilisierter Gesellschaft gibt, werden die Philharmoniker da sein.“ Und auch andere Orchester, will ergänzt sein.

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