Luxuriöse Klangkultur zum Niederknien

Komponisten-Marathon im Konzerthaus: Zehn Stunden lang fast nur Werke von Franz Schubert

Was für ein organisatorischer Aufwand, was für ein musikalischer Kraftakt: zehn Stunden lang nur Werke von Franz Schubert im Konzerthaus am Totensonntag, von 12 bis 22 Uhr in allen Sälen. Bei der fünften Ausgabe des sogenannten Komponisten-Marathons erwartet die Zuhörer eine attraktive Mischung aus frühem und reifem Schubert, aus Bekanntem und Unbekanntem, aus intimer Kammermusik, repräsentativer Sinfonik und sogar geistlicher Musik. Dazu kommen illustre Interpreten wie die Wiener Sängerknaben, der Tenor Christoph Prégardien und Starpianist Arcadi Volodos. Leider überschneiden sich einige Konzerte zeitlich. So kann man das Schubert-Programm des Konzerthausorchesters nur in voller Länge hören, wenn man auf Christoph Prégardien im Werner-Otto-Saal verzichtet.

Vielleicht hat gerade deshalb Iván Fischer ein ebenso kluges wie vielseitiges Schubert-Programm für das Konzerthausorchester zusammengestellt. Ein Programm, das den Komponisten in beeindruckender Vielfalt zeigt. Da ist zum Beispiel der jugendliche Schubert mit fünf Deutschen Tänzen D 90 vertreten, die er einst als Hausmusik für seine Familie schrieb und nun in einer Fassung für Streichorchester erklingen. Hier wie auch in der späteren Sinfonie Nr. 5 zeigt sich Schuberts glühende Mozart-Verehrung. In seiner Ouvertüre zum Schauspiel „Die Zauberharfe“ kommen noch Beethoven und Rossini als Vorbilder hinzu. Ganz nach typischem, reifem Schubert klingt dagegen „Der Hirt auf dem Felsen“ für Sopran und Klarinette – eigentlich ein Kammermusikwerk mit Klavier, das Iván Fischer in einer raren Orchesterversion präsentiert. Das Konzerthausorchester pflegt ein warmes, einladendes Schubert-Spiel mit runden Bläsern und schlanken Streichern. Schlank und hell wirkt auch Anna Lucia Richters Sopran – eine lyrische Mozart-Stimme mit verführerisch frischer Mittellage und mitunter etwas forcierten Spitzentönen. Elegant und schmiegsam wirken die Klarinettengirlanden von Matthias Schorn. Nach so viel Helligkeit und Wärme mutet der Auftritt der Leipziger Vokalgruppe Amarcord wie ein Kontrastprogramm an: Sie singen im kleinen Saal in vollkommener Dunkelheit – während ihre Stimmen kühlsilbern glänzen. Im Programmheft heißt diese Veranstaltung „Dunkelkonzert“. Eine Bezeichnung, die auch auf Arcadi Volodos‘ Auftritt kurz danach zutrifft. Das Publikum sitzt hier ebenfalls in kompletter Dunkelheit, die Steinway-Klaviatur ist in schummriges Licht getaucht, sodass der Pianist gerade eben seine Finger und die Tasten sehen kann. Volodos gilt als passionierter Nachtmensch, CD-Aufnahmen pflegt er gegen drei Uhr morgens zu machen – sehr zum Leidwesen seiner Produzenten und Tonmeister. Und auf noch etwas nimmt Volodos keine Rücksicht: Dass im Konzerthaus heute eigentlich ein Schubert-Marathon stattfindet. Denn seine ersten beiden Stücke sind Schumanns Papillons op. 2 und Brahms‘ Intermezzi op. 76. Hier wie auch für Schuberts große A-Dur-Sonate D 959 gilt: Volodos verfügt über eine luxuriöse Klangkultur zum Niederknien. Der unendlich feine Gesang seiner rechten Hand ist auch noch im vierfachen Pianissimo herzergreifend präsent.

Logo: Matthias Schonr
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